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Ein dunkler Himmel mit einigen Wolken und einem grossen Vollmond.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit I

Die innere Uhr

Fast alle elf Jahre verdoppelt sich die Lichtmenge, die unser Globus nachts abstrahlt- eine gigantische Lichtverschmutzung. Dies beeinträchtigt das menschliche – und im Übrigen auch tierische – Zeitgefühl und unsere inneren Uhren massiv. Spätabendliches, zu helles Kunstlicht verringert den Anstieg des Schlafhormons Melatonin und lässt die Menschen immer später zur Ruhe kommen. Die Kehrseite: morgens können trotzdem nur die Wenigsten entsprechend länger liegenbleiben und ausschlafen.

Der Mensch braucht Ruhe

Uns Menschen in der sogenannten entwickelten Welt mit all dem künstlichen Licht, den Essens- und Einkaufsangeboten und dem Medienkonsum rund um die Uhr, fehlt häufig der Zugang zu den Zeitgebern der Natur. Der Wechsel von Ruhe und Aktivität ist ein biologisches Grundprinzip und eng mit den Zeitgebern Tag und Nacht verbunden. Doch leider geht unser Gespür für die Zeit verloren und mit diesem Gespür ein innerer Rhythmus als Taktgeber für das Wechselspiel zwischen Zellen und Organen. Mit fatalen Folgen für die mentale und körperliche Gesundheit.

Mehr Licht — zur richtigen Zeit!

Dabei gibt es einen ebenso einfachen wie effektiven Lösungsansatz: Die Menschen brauchen tagsüber mehr Licht. Wer tagsüber mehr nach draussen geht, steigert seine Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit um ein Vielfaches. Die Helligkeit von Tageslicht mit 100 000 Lux ist unübertroffen und wird auch von LEDs niemals erreicht. Manche Innenraumfunzeln bringen es selbst in Büroräumen gerade mal auf 200 Lux.  

Wherever whenever

Aus chronobiologischer Sicht raten Schlafexperten dazu, dass wir Arbeit und Freizeit in mehrere Abschnitte über den Tag verteilen sollten, damit wir den Einfluss von Tageslicht besser nutzen können. Ideal und stressvorbeugend wäre tatsächlich die Vermischung von Freizeit und Arbeitszeit. Anstelle Internet und Smartphones als Zeiträuber zu verdammen, sollten wir sie demnach als Werkzeug zu mehr Freiheit erkennen und nutzen, denn sie erlauben es die Arbeit zu erledigen wann und wo wir wollen.

Die Idee

Die Arbeitszeit wird auf mehrere Abschnitte verteilt, wovon einer am Arbeitsplatz, ein anderer im Homeoffice und weitere auf dem Spielplatz oder im Schwimmbad stattfinden könnten. Und dazwischen bleibt Zeit für Sport, Familie, Haushalt usw. Zweifelsohne braucht es auch hier das richtige Mass und Schutz vor Fehlentwicklungen. Dennoch bietet Technik, die mobil-flexibles Arbeiten erlaubt, richtig genutzt, die Chance, besser und gemäss dem individuellen biologischen Programm zu arbeiten und zu leben. Mir scheint daher der Gebrauch des Begriffs der Individualisierung von Arbeitszeit noch treffender als wenn wir von Flexibilisierung reden. 

Die unausgeschlafene Gesellschaft

Schlaf, so nachweislich positiv er sich auf Leistungsfähigkeit, Reaktionsgeschwindigkeit, Fehlervermeidung und Gesundheit auswirkt, so schlecht oder zumindest zweifelhaft ist – vor allem in Bezug auf das Arbeitsleben – oft noch sein Ruf. Ein geringes Schlafpensum gilt noch immer als Ausweis der Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit. Dazu gehört es vor allem in der Politik zum guten Ton, Verhandlungen bis in die Nach auszudehnen, was nicht nur aus schlafwissenschaftlicher Sicht alles andere als günstig ist. Denn bereits nach 20 Stunden ohne Schlaf reagieren Menschen vergleichbar einem Blutalkoholgehalt von einem Promille und schneiden bei Leistungstests entsprechend schlecht ab. Wer mehr schläft, dem geht es besser. Die Arbeit geht ausgeschlafen leichter von der Hand und oft wird ein grösseres Pensum in weniger Zeit geschafft. 

Die Empfehlung

„Unausgeschlafene Menschen arbeiten ineffektiv und wenn sie nicht arbeiten, fehlt ihnen oft der Antrieb für Ereignisreiches und Kreatives. „Ausgeschlafene haben mehr vom Leben.“ So deutlich bringt es der Neurobiologe Peter Spork in seinem Buch „Wake up!“ auf den Punkt. In Japan beispielsweise geniessen Menschen die tagsüber schlafen ein hohes Ansehen. Der kollektive Mittagsschlaf gehört dort zur Kultur. Es gibt für den kurzen Kraftschlaf sogar ein eigenes Wort: „Inemuri.“ Von Japan lernen heisst in diesem Fall schlafen lernen.

AutorIn: Ilona Schönle