Graue Maus oder Alphatier

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AutorIn: Ilona Schönle

Fragt man nach Erfolg, so scheint das Streben nach einem guten Job, einer funktionierenden Beziehung oder viel Geld im Fokus zu stehen. Eine Art Erfolgsmonokultur, gedüngt durch vielfältige Glaubens- und Verhaltensmuster von Kindheit an. Was genau macht Erfolg für viele Menschen eigentlich so erstrebenswert?

Erfolgsdefinitionen lauten allgemein etwa so: «triff eine Reihe richtiger Entscheidungen» oder «erreiche (selbstgesteckte) Ziele.» Das passt ebenso gut für persönlich-private als auch berufliche Erfolge. Was genau aber macht Erfolg für viele Menschen so erstrebenswert? Denn ist es nicht so, dass wer etwas Zusätzliches möchte, mit der aktuellen Situation nicht zufrieden ist, ein innerer Mangel herrscht?

Schaut man sich in der Gesellschaft um, scheint das Streben nach einem guten Job, einer funktionierenden Beziehung oder viel Geld im Fokus zu stehen. Eine Art Erfolgsmonokultur, gedüngt durch vielfältige Glaubens- und Verhaltensmuster von Kindheit an.

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Angst oder Liebe?

Was wir uns ehrlich fragen sollten: Handeln wir aus Angst oder Liebe? Beides die zentralen Kräfte für Entscheidungen. Wie weit Arbeit und Leben heute häufig auseinanderklaffen, zeigt der Begriff «Work-Life-Balance.» Harte Erwerbsarbeit und schöner Lebensgenuss, Nutzen und Sinn im Spannungsfeld. Das eigentliche Problem hierbei ist, dass Arbeit nicht als Bestandteil eines sinnvollen Lebens wahrgenommen wird. Statt Erwerbsarbeit und Leben getrennt zu sehen und nach einer Balance dazwischen zu suchen, kommt es meiner Meinung nach eher darauf an, einen umfassenderen Begriff von Arbeit zu gewinnen. Die Frage nach dem Sinn wirft über die Arbeit hinaus die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens auf: Keine sinnvolle Arbeit, kein sinnvolles Verhältnis von Arbeit und Leben, kein Sinn im Leben?

Arbeit und Leben versus Arbeit oder Leben

Das von der Industriegesellschaft geprägte Verständnis des Begriffs Arbeit ist, einer Tätigkeit nachzugehen, die den Lebensunterhalt finanziert. Im Sinnkontext ist es jedoch erforderlich, der eigenen Arbeit eine übergeordnete Bedeutung beizumessen. Dies beginnt damit, dass man das Warum des Tuns, selbst festlegen kann. Geld allein kann Sinn nicht ersetzen und materielle Anreize setzen nicht dieselbe Energie frei wie ideelle.

Idealerweise darf Arbeit also mehr sein als nur entlohnte Tätigkeit. Der Philosoph Wilhelm Schmid formuliert es treffenderweise so: «Die Arbeit an etwas, die Art und Weise der Arbeit, die Haltung, mit der gearbeitet wird: All das wirkt auf das Selbst zurück, und zwar so sehr, dass auch Charaktereigenschaften davon geprägt und verändert werden, nach dem Grundsatz des fabricando fabricamur: Durch das Arbeiten wird das Selbst bearbeitet.»

Graue Maus oder Alphatier

Davon mal abgesehen, befinden wir uns gegenwärtig - bereits vor und trotz Corona- in einer Zeit des wachsenden Selbstdarstellungskultes, in dem sich jede/r für etwas ganz Besonderes hält. Wenn die Grundbedürfnisse befriedigt sind, rückt die eigene Person und eine ihr angemessene Rolle in den Vordergrund. Die eigene Arbeit einfach so verrichten ohne Status, ohne eigenes Organigramm-Gärtchen? Das widerspricht dem Bedürfnis als wichtig wahrgenommen zu werden. Die Bezeichnung «Sachbearbeiter» käme für manch Ehrgeizige(n) fast einer Beleidigung gleich. Quasi als Synonym „graue Maus». Wenn schon, denn schon Alphatier, «Head of» oder «Leiter/Leiterin».

Vielfältige Social Media Möglichkeiten ermöglichen Durchschnittsbürgern das tägliche Quäntchen Alltagsprominenz. Der unablässige Gestaltungszwang fordert das Ausschöpfen aller Möglichkeiten für die optimale Wirkung der eigenen Person.

Zeit ist das einzige Vermögen

Aber müssen geordnete Strukturen zwangsläufig langweilig, Normalität der stigmatisierte Mittelweg des geistigen Stillstandes sein? Routinen müssen nicht zwangsläufig auf Kosten der Fantasie gehen, wenn man sie Rituale nennt und bei der Arbeit ermöglichen sie Effizienz und Optimierung. Die täglich verwirrende Flut des Neuen, auf die man sich einlassen muss, strengt an. Hingegen wenn sich Dinge wiederholen und dadurch ein Stück weit normal werden, kann Ruhe einkehren und lässt sich Ordnung herstellen. Egal ob privat oder beruflich. Der Mensch strebt nach etwas, das ihm eigentlich nicht guttut. Und dabei misst er sich stets mit Mitmenschen die scheinbar höher, weiter oder besser sind.

Erfrischend erscheint mir hier die Aussage einer Freundin, die freimütig bekannte, dass ihr Bemühen im Job es sei, an der eigenen Bedeutungslosigkeit zu arbeiten: «Bloss nicht mehr wichtig sein.» Denn ihr wäre klargeworden: Zeit ist das einzige Vermögen!

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